Elektrifizierung mit angezogener Handbremse

Noch nie war der Verkaufszuwachs bei Elektroautos in Stückzahlen grösser als im Jahr 2023. Eine noch deutlich schnellere Markttransformation - weg von Autos mit Verbrennungsmotor - wäre möglich. Dafür müssten die Hersteller allerdings vermehrt auf kleine, bezahlbare Modelle setzen.

  • Anette Michel, Projektleiterin eco-auto.info
  • 14. März 2024
Wie im Vorjahr war das Modell Y von Tesla auch 2023 das meistverkaufte Auto.
Bild: Tesla


Tesla hat es wieder geschafft: wie im Jahr zuvor stand auch 2023 das Model Y an der Spitze der Liste der meistverkauften Personenwagen. Auf dem zweiten Podestplatz der Verkäufe steht mit dem Skoda Enyaq ein weiterer grosser Elektro-SUV, auf Rang drei der nicht-elektrifizierte Skoda Octavia, der bis 2020 mehrere Jahre lang der Topseller war.

Bereits 2021 war mit dem Model 3 von Tesla erstmals ein Elektromodell das meistverkaufte Auto der Schweiz gewesen, und nach wie vor treibt die US-amerikanische Elektromarke die Elektrifizierung des Automarktes entscheidend voran.

Fast ein Drittel mehr Elektroautos verkauft

Mehr als jedes fünfte verkaufte Auto war 2023 ein Elektromodell (21%); im Jahr zuvor hatten Elektroautos noch einen Verkaufsanteil von 18%. Der Zuwachs von 3% ist etwas geringer als in den Jahren zuvor. Eindrücklicher sieht es aus, wenn die absoluten Verkaufszahlen betrachtet werden: 2023 wurden fast 53‘000 Elektroautos verkauft - 31% mehr als im Jahr zuvor. Noch nie war der absolute Verkaufszuwachs grösser.

Jedes fünfte neu zugelassene Auto war 2023 ein Elektromodell. Datenquelle: Bundesamt für Strassen

Diese nennenswerte Entwicklung ist in den relativen Daten nicht sichtbar, da die Autoverkäufe insgesamt gestiegen sind. Erstmals seit dem pandemiebedingten Einbruch im Jahr 2020 wurden wieder etwas mehr Neuwagen zugelassen: Lagen die Neuwagenverkäufe vor 2020 meist bei über 300‘000 Stück im Jahr, wurden 2023 rund 250‘000 neu zugelassen.

Laut Bundesamt für Statistik (BFS) waren letztes Jahr über 4.7 Millionen Personenwagen zugelassen – fast 40‘000 mehr als im Jahr zuvor. Das BFS rechnet vor: «Würde man diese zusätzlichen Fahrzeuge Stossstange an Stossstange aneinanderreihen, ergäbe sich eine Kolonne von 175 km Länge, was ungefähr der Autobahndistanz von Luzern nach Lugano entspricht.» Der gesamte Personenwagenbestand der Schweiz würde gar reichen, um 10 Spuren von Zürich bis nach Kiew zu füllen (Gesamtlänge 21'000 Kilometer).

4 von 5 Neuwagen mit Verbrennungsmotor

79% aller neu zugelassenen Autos verfügen noch immer über einen Verbrennungsmotor. Die meisten haben einen reinen Benzinantrieb (33%), wobei dieser Anteil seit Jahren kontinuierlich abnimmt. Stark gestiegen sind die Verkäufe von Hybridautos, die im vergangenen Jahr 27% ausmachten. Viele neue Hybridmodelle sind Mildhybride, die nicht rein elektrisch fahren können. Bei diesen Modellen handelt es sich im Prinzip um etwas effizientere Benzin- oder Dieselmodelle. Die Verkäufe von reinen Dieslern gehen weiterhin zurück und erreichten letztes Jahr noch 9%. Ebenfalls 9% machten Plug-in-Hybride aus. Über einen Gas- oder Wasserstoffantrieb verfügen lediglich wenige Stück der neu zugelassenen Autos.

Problematische SUV

Unabhängig vom Antrieb ist der anhaltende Trend zu immer grösseren Autos ungebrochen – und problematisch. Letztes Jahr waren sieben der zehn meistverkauften Modelle SUV. Vor zehn Jahren erreichte der VW Tiguan als einziger SUV die Topten, meistverkaufte Modelle waren VW Golf und Polo sowie – schon damals – der Skoda Octavia. «Ein grosses Elektroauto verursacht über den Lebenszyklus gleich viele Umweltschäden wie ein kleines Benzinauto», mahnt Luca Maillard, zuständig für Fahrzeugbewertungen bei eco-auto.info. «Wird der Trend zu immer grösseren Autos nicht umgekehrt, macht er die Klima- und Umweltvorteile der Elektrifizierung zunichte.»

Letztes Jahr waren sieben der zehn meistverkauften Modelle SUV.

Eine kürzlich publizierte Studie von Transport&Environment nimmt die Autobauer in die Pflicht, für ein massentauglicheres und weniger umweltbelastendes Marktangebot zu sorgen: zu wenig kompakte, bezahlbare Elektromodelle würden angeboten, teure Modelle wie SUVs priorisiert. Dies bremse die Elektrifizierung des Strassenverkehrs in Europa. Maillard bestätigt: «Viele Autokäuferinnen und Autokäufer, die von einem kompakten Verbrenner auf ein Elektroauto wechseln wollen, sehen sich wegen des ungenügenden Angebotes zum Kauf eines grossen Autos gezwungen.»

Dennoch wächst die Palette an kompakten Elektromodellen, wie Maillard weiss: «Seit letztem Jahr sind die ersten E-Kombis erhältlich und neue Kompaktmodelle mit gutem Preis-Leistungsverhältnis wie der Renault R5 oder der Citroën ë-C3 stehen kurz vor der Markteinführung.» Die Elektrifizierung schreitet also weiter voran, allerdings noch mit angezogener Handbremse.